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Mittwoch, 18. Juli 2007
Betty Everett, 1939-2001

Betty Everett war eine glänzende Rhythm & Blues- und Soul-Sängerin - darüber hinaus auch eine Pianistin -, deren Ruhm in unseren Tagen zu Unrecht verblaßt ist. Abgesehen von den beiden Chartbreakern It's In His Kiss und Let It Be Me sind ihre unvergeßlichen Aufnahmen, hauptsächlich aus den 60ern, heute nur noch einigen Eingeweihten bekannt. Es hat dem Nachruhm von Betty Everett nur wenig genützt, daß Cher ihren Hit It's In His Kiss 1991 neu aufnahm und Bettys Love Is Strange im Film Dirty Dancing in einer neuen Version auftauchte ...

Betty Everett wuchs im ländlichen Süden in der Baumwollstadt Greenwood (Leflore County, Miss.) auf und wurde zunächst durch Gospelmusik geformt. (Seit langem ist Greenwood auch Ku Klux Clan Country, und bis heute treffen sich dort Mitglieder des Clans. In den 60er Jahren gab es in der Region unrühmliche Episoden, schlimme rassistische Ausschreitungen und den Mord an dem schwarzen Bürgerrechtsaktivisten Medgar Evers 1963). In späteren Jahren legte Betty Everett aber eine eher distanzierte Haltung gegenüber Gospel als praktizierte Kirchenmusik an den Tag. Sie sagte auf die Frage, warum sie nicht mehr in der Kirche singe:

I could, but that would be like straddling the fence. I don't believe in that - going to church on Sunday, singing in the choir, and then going back the same night to a nightclub to sing the blues. When I get through with my recording career, I'm going back to the church. I also want to study piano some more.

Mit neun Jahren begann Betty mit dem Klavierspielen und brachte es darin zu einiger Perfektion (in manchen Aufnahmen ihrer Songs, etwa in Your Love Is Important To Me (1962), begleitete sie sich später selbst am Klavier). Ansonsten ist über ihre frühen Jahre so gut wie nichts bekannt. Es liegen mir auch keine Interviews vor, die über diese Zeit Aufschluß geben könnten. Ich stelle mir vor, der Song Down in the Country (Where You Were Born), der vom Leben der Baumwollpflücker im Süden und ihren Wochenendvergnügungen erzählt und den Betty in den frühen 60ern für Vee-Jay Records aufnahm, habe einige autobiographische Relevanz für die Sängerin gehabt.

Wie auch die vier Jahre ältere Koko Taylor machte sich Betty (samt ihrer Familie) mit siebzehn aus dem armen Süden nach Chicago auf. Ihr Lebensweg gleicht bis dahin dem Weg, den zahlreiche andere Blues- und Soulmusikerinnen vor ihr genommen hatten. Ob sie bereits vor ihrer Übersiedlung nach Chicago öffentlich aufgetreten ist, kann nicht mehr geklärt werden, ist aber wahrscheinlich. Als einzigen, wichtigen Einfluß auf dem Gebiet des Blues nannte Betty einmal B.B. King: Who else do you hear in Mississippi? Als weibliche Vorbilder wies sie später auf Gloria Lynne und Dinah Washington hin.

Es wird berichtet, daß Betty für kurze Zeit mit Größen wie Muddy Waters and Magic Sam (eig. Samuel Maghett, 1937-1969) aufgetreten sei. Nach allem, was man weiß, musizierte sie zusammen mit Muddy Waters für eine Woche in Cleveland, wohl noch 1957. Immerhin nahm sie bereits im Jahr 1957, dem Jahr ihrer Ankunft in Chicago, ihre erste Single (bei Cobra Records, einem Blues Label) auf, wozu ihr wiederum ihr Kontakt mit Magic Sam verholfen hatte. Alles in allem mußte Betty also schon bald gehörig auf sich aufmerksam gemacht haben, nachdem sie in Chicago angekommen war (sie trat u.a. im Chicagoer Club "The Hideaway" auf).

In den folgenden Jahren erschienen weitere Singles, und auf ihrer ersten LP (1962) sang sie gemeinsam mit Ketty Lester (*1935). Eine, vermutlich die wichtigste Wende in ihrem Leben kam 1963, als ihr von Calvin "Cal" Carter ein Plattenvertrag bei dem Label Vee-Jay Records (VJR) vermittelt wurde. Es folgten dann bis 1966 die sogenannten "Vee-Jay Jahre", in der Bettys bekannteste Songs aufgenommen wurden.

Im Jahr 1963 wurde Carter auf Betty Everett aufmerksam. Jerry Butler, Duett-Partner von Betty in vielen Songs der 60er, sagte später über Cal Carter:

There's a man by the name of Calvin Carter. He did A&R for Vee Jay records, a company man. His job was to go out and cut hits. Today he would be called a promoter. Calvin did it for 12 years, and when you list the acts he signed, using no other ears to depend on but his own, it reads like a 'who's who' in the music business. He covered every base. For example, gospel acts he signed: Five Blind Boys, the Staple Singers, the Swan Silvertones, Maceo Woods, the Raspberry Singers. In the blues field, he signed Jimmy Reed and John Lee Hooker. In R&B, the Dells, the Spaniels, myself, the El Dorados. Female singers such as Priscilla Bowman and Betty Everett. (...) Unfortunately, the only industry people knowing him today are those who came in contact with him back in those days; but I think he deserves a place in R&B music on the same level as Phil Spector.

Betty Everetts erste (By My Side / Prince Of Players) und zweite Single für VJR (You're No Good) waren noch nicht übermäßig erfolgreich. You're No Good, ein Leiber/Stoller Song, war ursprünglich im gleichen Jahr 1963 von Dee Dee Warwick (der Schwester von Dionne Warwick) gesungen worden, doch die Version von Betty wurde rasch populärer als Warwicks – allerdings wurde der Song erst 1975 ein #1 Pophit, und zwar in der Version von Linda Ronstadt.

Calvin Carter erinnerte sich später in einem Interview an den Tag, an dem der Song You're No Good von Betty Everett aufgenommen wurde. Die bekannte fünfköpfige Gruppe "The Dells" (bei Vee-Jay Records seit 1955) waren dabei im Studio anwesend:

They were sitting on the wooden platform where the string players would sit. Well, they were sitting there on the playback and just stomping their feet on this wooden platform to the beat of the song as it was playing back. So the mikes were open and I heard it. I told the engineer 'Let's do it again, and let's mike those foot sounds, 'cause it really gave it a hell of a beat.' So we did that, and boom, a hit. Betty Everett, with the Dells on feet. That's how things would happen in those days, you know, by accident. You kept the mikes open and your ears all over the place, and when anything unusual happened, you'd just tape it.

Doch schon mit ihrer dritten 7'' Scheibe, It's In His Kiss, landete Betty Everett einen Riesenhit. Sie selbst soll von diesem Erfolg überrascht gewesen sein, hielt sie doch den Song für kindisch und niveaulos und hatte sich deshalb zunächst gesträubt, ihn überhaupt aufzunehmen. Neben Let It Be Me (im Duett mit Jerry Butler) ist It's In His Kiss Bettys berühmtester Song geworden; wegen des shoop shoop der Backing Vocals ist der Song auch als der Shoop Shoop Song bekannt; Cher nahm diesen Song 1991 neu auf – und am Vergleich mit der Version von Betty ist zu sehen, welche dürftige Darbietung Cher dabei liefert! In den Jahren bis 1966, als Vee-Jay Records pleite ging, nahm sie weitere Songs auf, die allesamt zu ihrem "klassischen" Repertoire gerechnet werden können: I Can't Hear You, Getting Mighty Crowded (später auch von Elvis Costello gesungen) oder auch Too Hot To Hold.

Mitte der 60er Jahre unternahm Betty eine Konzertreise in Großbritannien, was erklärt, warum einige ihrer Singles aus den Jahren 1964-66 in englischen Pressungen gegen Ende der 60er neu aufgelegt wurden (President Records). Bettys Popularität im Königreich wurde auch durch Dusty Springfield nachhaltig gefördert, weil diese verschiedene Songs von Betty gecovert hatte (I Can't Hear You, Getting Mighty Crowded, Chained To A Memory, The Real Thing) und damit besonders in Großbritannien erfolgreich war.

In der zweiten Hälfte der 60er sang Betty auf Platten verschiedener Labels (ABC-Paramount, Uni Records), bevor sie 1970 einen neuen Vertrag bei Fantasy Records (seit 2004 Teil der Concord Music Group) erhielt. Die Zusammenarbeit mit Fantasy ging bis 1975, und diese Periode in ihrem Leben ging als die "Fantasy Years" in ihre Biographie ein.

Nur noch wenige Aufnahmen in der zweiten Hälfte der 70er belegen, daß Betty schon seit 1966 nicht mehr den Erfolg hatte, den ihr ihre Einspielungen bei Vee-Jay Records gebracht hatten. Experten sagen, Everetts Karriere habe einerseits unter dem Mangel an einem fähigen Manager bzw. Promoter gelitten. Andererseits sei ihr der Trend in den 70ern zum Verhängnis geworden, nämlich daß "reine" Performer, die nicht selbst Songschreiber waren oder mir bestimmten Songschreibern fest verbunden waren, zunehmend aus der Musikindustrie verdrängt wurden. Dennoch darf man nicht vergessen, daß Betty Everett erst 1969 mit ihrem Song There'll Come a Time ihre höchste Plazierung in den Charts erreichte (#2 R&B Soul Charts). Betty Everett erreichte ihre letzte Chart-Plazierung im Jahr 1978 mit True Love (You Took My Heart); ihre letzte bekannte Aufnahme stammt aus dem Jahr 1980.

Von 1986 bis zu ihrem Tod (durch Herzversagen) im August 2001 lebte Betty - mit Unterbrechungen und längeren Aufenthalten in Chicago - in Beloit (Wisconsin), wobei sie seit 1988 u.a. für die Rhythm & Blues Foundation aktiv gewesen war. In den 80ern entdeckte sie auch die Gospelmusik für sich wieder und engagierte sich in Kirchenkreisen.

Für ihre Musik hatte sie mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den BMI Pop Award für die Jahre 1964 und 1991 (letzterer für ihr Lebenswerk) und den BMI Rhythm & Blues Award, ebenfalls für das Jahr 1964 - 1964 waren ihre größten Hits It's In His Kiss und Let It Be Me veröffentlicht worden. Im Jahr 2000 trat sie zum letzten Mal in der Öffentlichkeit auf. Man munkelt, daß Bettys finanzielle Situation nicht zum besten gestellt war, nicht zuletzt aufgrund des dummen Wirkens einiger Personen in ihrem Umfeld.

Einige ihrer ganz frühen Songs (bei Cobra Records, One-Derful Records, Chicago, und C.J. (= Carl Jones) Records, Chicago) wie etwa I'll Weep No More, Your Love Is Important To Me und Please Love Me stehen noch in der Tradition des Southern Blues, so daß zunächst alles darauf hindeutete, daß Betty zu einer großen "Bluesy Diva" werden sollte. Doch ihre Aufnahmen für Vee-Jay Records führten sie deutlich in die Soul-Richtung, und die Arrangements und Instrumentalisierungen ihrer Songs wurden zunehmend aufwendiger, bis sie schließlich in vielen Stücken dem damals noch neuen Motown-Stil, der seit 1961 Furore machte, Vorschub leisteten. Deutlich dem Motown-Stil nahestehend sind Bettys Songs Getting Mighty Crowded, It's In His Kiss, Prince of Players, The Real Thing, Too Hot to Hold und With You I Stand.

In ihren Songs der 60er Jahre bei Vee-Jay Records zeigte Betty Everett, daß sie großes Talent für verschiedene Richtungen des Soul besaß. Wir finden schnulzige Nummern (I Need You So, Just Be True, Until You Were Gone) und Soul-Balladen (No Place to Hide), daneben aber auch die swingende Jazz-Nummer June Night. Schnellere Titel mit mehr oder weniger stark ausgeprägtem Drive sind z.B. Hands Off, I Can't Hear You oder I Can't Stand It. Ganz außergewöhnlich ist ihre Soul-Version des Leiber/Stoller Songs Hound Dog, der von der allseits bekannten Fassung von Elvis Presley weit entfernt ist.

Eine besondere Rolle im musikalischen Werk von Betty Everett hatte ihre Zusammenarbeit mit Jerry Butler, der schon länger in der Musikszene Chicagos aktiv war. Butler hatte Betty nicht nur mit Curtis Mayfield und seinen Impressions bekannt gemacht – 1966 kam schließlich eine LP mit dem Titel Betty Everett and The Impressions heraus -, sondern er nahm 1964 mit Betty verschiedene Duette auf, die in dieser Interpretation fast allesamt zu Soul-Klassikern wurden, in erster Linie Let It Be Me und Smile, ein Nat King Cole-Song von 1954. Let It Be Me, ursprünglich ein französischer Chanson von Gilbert Bécaud, Mann Curtis, and Pierre Delanoé, wurde 1957 zum ersten Mal in einer englischen Fassung in den USA aufgenommen. Vor Everett-Butlers Interpretation war der Song im Jahr 1960 von den Everly Brothers mit großem Erfolg gecovert worden.

In loving memory:
*23. November 1939, Greenwood / Mississippi
+19. August 2001, Beloit / Wisconsin

Letzter Fernsehauftritt von Betty Everett im PBS special Doo Wop 51 (2000), zusammen mit Jerry Butler.



Über Betty
  • Betty Everett possessed one of the finest fiery turbo-charged voices filled with passionate urgency from the soulful sixties but never received her just due in the music world (Bradly Briggs)
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